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Frauen-Achter: Nahziel EM, Fernziel Olympia

Unter der Leitung von Bundestrainer Tom Morris peilt das Frauen-Riemen-Team die Olympischen Sommerspiele in Tokio an. Die Verschiebung war für den Achter ein Aufbruchssignal. 

Für die meisten Athleten war die Verschiebung der Olympischen Sommerspiele ein Rückschlag. Nicht so für das Frauen-Riemen-Team in Potsdam. Rein sportlich betrachtet könnte die Mannschaft von Bundestrainer Tom Morris sogar davon profitieren. „Grundsätzlich wäre es für alle Sportler wünschenswert gewesen, wenn die Olympischen Sommerspiele normal stattgefunden hätten. Aber für uns ist das eine großartige Möglichkeit“, sagt Trainer Tom Morris. „Wir haben eine sehr junge Gruppe mit viel Entwicklungspotential. Wir wollen das zusätzliche Jahr vor Olympia nutzen, um hart zu arbeiten, gut zu trainieren und uns als Team weiterzuentwickeln.“

Tom Morris – der Erfolgstrainer

Der Bundestrainer trat seinen Dienst beim Deutschen Ruderverband im März 2019 an. Der Australier weiß, wie sich erfolgreiche Mannschaften formen lassen. Zuvor arbeitete er für den kanadischen und australischen Ruderverband, hat als Trainer 56 nationale und 21 internationale Medaillen gewonnen. Doch er kennt sich auch mit anderen Sportarten aus: In seiner Heimat war er zuletzt Sportdirektor bei den Fremantle Dockers – einer Australian Football Mannschaft. Mario Woldt, DRV-Sportdirektor, lotste ihn nach Deutschland. Das Ziel von Morris: „Wir wollen zu den Olympischen Spielen in Tokio.“

Steuerfrau Larina Hillemann zählt zu seinen erfahrensten Ruderinnen. Die 24-Jährige gehört bereits seit dem Jahre 2015 dem Team an. 2016 hatte sie mit dem Achter noch den 5. Platz bei der Europameisterschaft belegt. Zwischenzeitlich war das Großboot nicht bei den internationalen Regatten vertreten. Nun aber blickt Hillemann den nächsten Aufgaben zuversichtlich entgegen. Ein Grund dafür sind die positiven Einflüsse von Morris.

Die Erfolgsschlüssel: Teambuilding und Mentalität

„Ich hatte noch nie zuvor einen Trainer, bei dem das Teambuilding und das Mentale eine solch große Rolle spielt“, verrät sie. „Er weiß genau, welche Kniffe er im Kopf bei jeder einzelnen Ruderin anwenden muss.“ Dies sei gerade für sie als Steuerfrau wichtig: „Ich arbeite sehr viel damit, die Leute im Rennen mental an ihre Leistungsgrenze zu bringen. Es hilft mir enorm, dass ich mich mit dem Trainer austauschen kann. Er hat vor allem unsere persönliche Einstellung zum Training und zum Wettkampf verändert. Wir stehen hundertprozentig füreinander ein, haben hundertprozentiges Vertrauen ineinander und auch in den Trainer.“

Das gute Miteinander und der Eigenantrieb waren einige der Gründe dafür, dass die Ruderinnen die Zeit des Lockdowns für sich nutzen konnten. „Wir haben uns alle ein Ergometer organisiert, damit wir zu Hause trainieren können“, erzählt sie. „Wir haben in der Zeit viel miteinander geskypt und Videochat gemacht, um das Teamgefühl nicht zu verlieren. Unser Team lebt vom Miteinander. Wir unterstützen uns alle gegenseitig. Das war sehr wichtig. Ansonsten wäre es sehr ungewohnt gewesen, plötzlich allein zu Hause herumzusitzen.“

Morris attestiert seinen Ruderinnen eine gute Trainingsarbeit: „Die Mädels haben die Home-Office-Zeit für sich genutzt. Sowohl physisch als auch mental sind alle in sehr guter Form. Jede Athletin für sich konnte sich individuell verbessern. Das Boot läuft jetzt besser als vor Corona.“ Anfang Mai durften die zwölf Ruderinnen das Training in Potsdam, am Stützpunkt der Disziplingruppe Frauen-Riemen, wieder aufnehmen. Zwei Monate ohne Mannschaftstraining waren in der Zwischenzeit vergangen. Wie sich die Rückkehr auf das Wasser angefühlt hat? „Ziemlich geil. Das war ein echtes Glückgefühl“, antwortet Hillemann. „Die ersten Wochen auf dem Wasser waren eine Zeit, die wir einfach für uns selbst nutzen konnten. Niemand hatte Stress, weil Olympia zunächst in den Hintergrund gerückt war.“

Europameisterschaft als Härteprobe

Dies hat sich mittlerweile geändert. Die Riemen-Frauen befinden sich längst wieder im Wettkampfmodus. Das erste Etappenziel wird die Europameisterschaft vom 9. bis zum 11. Oktober im polnischen Poznan sein. Das Training ist voll auf dieses Event ausgerichtet. Hillemann erklärt: „Wir fokussieren uns darauf, die Geschwindigkeit ins Boot zu bekommen und gerade auch die höheren Frequenzen im Achter anzugehen. Wir wollen uns bestmöglich auf die EM vorbereiten, um uns dort vorne platzieren zu können.“

Ab welcher Platzierung sich von einem guten Ergebnis sprechen lässt? Tom Morris möchte sich nicht festlegen: „Es ist schwierig, ein bestimmtes Ziel vorzugeben, weil wir nicht sagen können, auf welchem Stand die einzelnen Nationen sind. Wir wollen einfach eine Leistung bringen, auf die wir stolz sein können. Ich hoffe, wir werden unser bestes Ergebnis in diesem olympischen Zyklus erzielen.“ Bei der Weltmeisterschaft 2019 landete Deutschland im B-Finale auf Platz 4. Allerdings zu einer Zeit, als Morris lediglich fünf Monate im Amt war und sich das Team noch im Findungsprozess befand.

Eine Medaille wäre ein Traum

Mittlerweile dürfte sich der weibliche Deutschland-Achter auf einem höheren Leistungsstand befinden. Dementsprechend optimistisch gibt sich Hillemann hinsichtlich der Zielsetzung. „Der Traum wäre eine Medaille“, sagt sie, fügt dann aber hinzu. „Ansonsten bin ich auch mit allem zufrieden, was unsere beste Leistung widerspiegelt.“

Die Europameisterschaft ist eine Härteprobe auf dem Weg zu den Olympischen Sommerspielen 2021. Spätestens dann stehen die Ergebnisse im Vordergrund. Morris möchte nicht nur mit dem Achter in Tokio vertreten sein, sondern möglichst auch noch mit dem Zweier ohne Steuerfrau. Hillemann ist zuversichtlich, die Zielsetzung des Bundestrainers erfüllen zu können: „Ich bin sehr positiv gestimmt, dass wir das packen. Wenn ich sehe, was für eine Entwicklung wir in den vergangenen Wochen im Achter und auch in den Kleinbooten genommen haben, bin ich optimistisch.“

Und was wäre möglich, sollten die Riemen-Frauen im Sommer 2021 wirklich auf dem Sea Forest Waterway, der Regattastrecke in Tokio, dabei sein? Morris glaubt an das Potential seines Achters: „Wenn wir bei Olympia dabei sind, könnten wir das A-Finale erreichen – und dann kann alles passieren.“

Oliver Jensen