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"Die Physis ist ein Problem"

Interview mit Chef-Bundestrainerin Brigitte Bielig

Chef-Bundestrainerin Brigitte Bielig hat eigentlich Urlaub nach den aufreibenden Tagen und Wochen der UWV und der Weltmeisterschaft in Racice. „Aber eigentlich ist es nur ein halber Urlaub, der Schreibtisch ist voll“, sagt Bielig, die sich zu allem Überfluss auch noch Corona eingefangen hat, als wir sie zum Interview bitten. Da ist einiges aufzuarbeiten, was sich im Laufe dieser Saison ereignet hat.

Frau Bielig, Sie haben mit der sportlich dürftigen Ausbeute zu tun, sehen sich anhaltender Athletenkritik gegenüber und müssen die neue Saison planen. Welchen Brand treten Sie denn zuerst aus?

Was uns aller beschäftigt, sind natürlich die Bedenken der Sportler. Es geht weiter um die Frage des zentralen Trainings in Leistungszentren. Wir haben da auch sehr genau hingehört. Vor allem am Stützpunkt Ratzeburg/Hamburg läuft sicher nicht alles rund, was auch, aber nicht nur, mit den Baumaßnahmen zusammenhängt. Deswegen haben wir die Sportler nicht gezwungen, schon ab Oktober ganz konzentriert dort zu trainieren, sondern vorerst nur in gewissen Blöcken. Ich muss aber auch sagen, dass einige Sportler die Sache nicht ernst genug nehmen und da nehme ich auch einige Heimtrainer mit in die Pflicht. Wir bemühen uns, viele Dinge, die von den Sportlern kritisiert wurden, abzustellen. Nach der Kritik am Essen in Ratzeburg haben wir zum Beispiel eine Ernährungsberaterin dorthin geschickt, um sich die Essenspläne anzusehen. Plötzlich haben sich dann zwei Riemerinnen gemeldet, die das Essen am Stützpunkt Berlin für nicht angemessen hielten. Vielleicht ist das irgendwo auch eine Ausrede. Was das Stützpunktraining generell angeht, müssen und werden wir dies weiter so fordern. Großbootmannschaften müssen einfach zusammen trainieren. Wenn sich regional ein Doppelzweier wie zum Beispiel Marc Weber und Jonas Gelsen in Frankfurt bildet, dann kann man die bis auf Stützpunktmaßnahmen dort auch trainieren lassen. Wir hatten mit Marc Weber übrigens gute Gespräche, da gab es eine gewissen Annäherung.

Brigitte Bielig (re.) tauscht sich an der WM-Strecke in Racice mit Riemen-Bundestrainerin Sabine Tschäge aus. Foto: D. Seyb

Manchmal funktioniert es auch nicht, wie bei Max Appel und Moritz Wolff (reisten vor dem Viertelfinale der WM ab, d. Red.). Hätte man die Probleme, die es zwischen beiden offenbar gab, nicht vor der WM erkennen und klären müssen?

Es gab in der Tat auch vorher schon Dispute zwischen den beiden, darauf haben wir im Trainingslager in Völkermarkt mit beiden gesprochen und glaubten, alles sei geklärt. Die WM hat uns dann eines Besseren belehrt.

Was ist es eigentlich hauptsächlich, was die Athleten so aufbringt, das kann ja nicht nur das Essen in Ratzeburg sein?

Angefangen hat alles mit der Kritik von Olli Zeidler vor der EM in München. Er hat sich als Sprecher einiger Sportler dazu berufen gefühlt, die Kritik zu äußern. Darauf haben wir mit ihm und seinem Vater und Trainer Heino versucht, die Kommunikation herzustellen. Die Kritik entzündete sich hauptsächlich auch am Männer-Skull-Stützpunkt Ratzeburg/Hamburg und betraf die beiden Bundestrainer Dirk Brockmann und Tim Schönberg. Da ist sicherlich auch nicht alles optimal gelaufen, deswegen haben wir versucht, die Trainer mit in die Gespräche zu nehmen. Dennoch erneuerte Zeidler seine Vorwürfe nach der EM und nach der WM noch einmal. Ich hätte insgesamt nicht gedacht, dass im A-Bereich so viel Politik und so viele Befindlichkeiten zu berücksichtigen sind. Ich habe den Eindruck, je mehr wie reden, desto mehr Konflikte kommen hoch. Von manchen Sportlern hörte ich, dass sei das erste Mal, dass ein Cheftrainer mit mir redet.

Das klingt aber danach, als wenn jahrelang vieles liegen geblieben ist, was Ihnen jetzt auf die Füße fällt.

Es ist schon so, dass Ralf Holtmeyer als Chef-Bundestrainer nicht viel in andere Bereiche geschaut hat. Der Achter als Vorzeigeboot funktionierte gut und war erfolgreich. Doch in anderen Bereichen ist dann viel liegen geblieben. Da hat sich viel aufgestaut. Das sieht man an der Abwärtsspirale der sportlichen Leistung vor allem in der Breite. Aus dem vielversprechenden Nachwuchs ist zu wenig gemacht worden. Wir haben die zweite Reihe verloren. Sie haben sich im A-Bereich zu wenig beachtet gesehen und haben dann teilweise aufgehört. Andere Nationen wie die Briten oder die Niederländer führen da konsequenter nach.

Was ist genau das Problem?
Nur ein Beispiel: Nach Olympia hatten wir neun Sportler, die wir in dem Übergangsjahr weiter gefördert haben, damit sie ihrer Ausbildung nachkommen können. Geblieben sind uns als Rückkehrer nur zwei, nämlich Tim Ole Naske (Hamburg) und Carlotta Nwajide (Hannover). Daran sieht man, wie

Zum Bereich Männer Riemen: War es richtig, einen Achter in der Besetzung, von der man wusste, dass er bei der WM so nicht fahren kann, in die Saison starten zu lassen? So konnte sich das Boot für die WM nicht optimal einfahren.

Das haben wir zu Beginn der Saison auch so gesehen und hatten vorgeschlagen Olaf Roggensack/Laurits Follert Zweier ohne fahren zu lassen, was auch ein starkes Boot gewesen wäre. Das gab dann aber großen Gegenwind von Bundestrainer Uwe Bender und vereinzelt auch Stimmen aus dem Achter, die meinten, es wäre besser mit den beiden Erfahrenen im Boot in die Saison zu starten. Dazu kam natürlich, dass wir immer wieder krankheitsbedingte Ausfälle hatten, zum Schluss mit Torben Johannesen auch den letzten Erfahrenen im Boot.

Der Bereich Frauen Riemen war nicht weniger problematisch …

Wir hatten von vorneherein gesagt, dass wir hier etwas ausprobieren wollten. Deshalb haben wir zur EM in München drei Skullerinnen mit guten sportlichen Werten ins Boot genommen.

Die sich aber nur zwei Wochen gemeinsam vorbereiten konnten.

Ja, das war sehr kurzfristig, aber wir hätten mit diesem Boot gerne bis zur WM weitergemacht. Auch da kam dann Corona dazwischen. Pia Greiten und Frauke Hundeling wurden Fünfte in Luzern und wir entschieden uns, sie den Doppelvierer mit zwei Aufrückerinnen bilden zu lassen. Das Ergebnis war enttäuschend, vor allem der Abstand zur Spitze, aber Greiten/Hundeling haben in Racice im Doppelzweier bestätigt, zu was sie fähig sein können.

Ein weiterer Kritikpunkt im Bereich Männer wie Frauen ist die Physis, an der es offenbar fehlt. Unter anderem seien die Ergo-Zeiten hinter denen der internationalen Konkurrenz.

Das stimmt. Aber bei den Männern in Dortmund wurden Ergo-Zeiten nicht als wesentlich angesehen. Man wollte das Boot über eine exzellente Rudertechnik schnell machen, was ja auch in Teilen und in der Vergangenheit immer wieder funktioniert hat. Ich muss dazu sagen, dass mich das WM-Niveau der Briten enorm überrascht hat. Die Physis ist bei uns aber in der Tat ein Problem, unter anderem auch, weil wir keine vergleichbaren Standards haben. In Dortmund werden zum Beispiel andere Stufentests gefahren. Ich habe mir die internationalen Leistungsvorgaben angesehen, zum Beispiel der Niederländer, Kanadier und auch der Australier. Dort gibt es einheitliche Vorgaben eingeteilt in verschiedene Stufen der Leistungsentwicklung bis hin zum so genannten „Goldstandard“. Wer diesen erreicht, hat bei Olympischen Spielen eine sehr gute Medaillenchance. Wer im roten Bereich ist, muss mehr tun. Das sind Vorgaben, die von den Sportlern leicht nachzuvollziehen und eben einheitlich sind. Da müssen wir auch hin. 

Das ganze Interview in der Ausgabe 11-2022 von rudersport. Jetzt hier bestellen - als Einzelausgabe oder im Abo!