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Rheinschifffahrt: Wie ticken die Kapitäne?

Sieht er mich oder sieht er mich nicht? Diese Frage haben sich schon viele Steuerleute gestellt, wenn sie auf einer Bundeswasserstraße der Berufsschifffahrt begegnen. Die Ruderin Corinna Schneider hat  einmal  die Perspektive gewechselt und ist auf einem Gütermotorschiff mitgefahren.

Wenn man mit seinem Ruderboot auf dem Rhein unterwegs ist, stellt man sich so manche Frage, wenn einem die Fahrzeuge der Berufsschifffahrt entgegenkommen bzw. überholen. Warum fährt der denn außen? Muss der so dicht unter Land kratzen? Müssen die sich auch noch gegenseitig überholen? Oder: Warum hupt der denn jetzt? Wer gibt einem die Antwort?

Was erst nur eine Idee war, wurde Ende August 2021 Wirklichkeit. Wir hatten die Möglichkeit, auf dem Gütermotorschiff (GMS) Ralf-Dieter der Mainschifffahrts-Genossenschaft (MSG) auf der Strecke von Bingen nach Köln-Niehl genau diese Fragen zu stellen. Und zwar Ralf, dem Partikulier der Ralf-Dieter, einem Schiffmann durch und durch. Morgens um 7:00 Uhr wurden wir am Autosteiger in Bingen an Bord genommen und hoch ins Führerhaus (Ruderhaus, auf die Brücke) gebracht. Ralf hatte den Joystick im Griff und den Rhein fest im Blick. Dass er uns Wassersportler alle über einen Kamm schert und wenig Sympathien für uns hegt, wurde uns sehr schnell bewusst, denn „Paddler“ haben  in der Fahrrinne nichts zu suchen. „Macht Euch da einfach weg. Ihr geht ja schließlich auch nicht auf der Autobahn spazieren“, waren für eine Begrüßung sehr deutliche Worte. Jetzt war es an uns, herauszufinden, woher diese pauschale Haltung rührt. Es lässt sich jedoch vorwegnehmen, dass er uns am Ende tatsächlich „Ruderer“ nannte und versöhnlich meinte „Macht Euch bemerkbar, ich will Euch einfach nur sehen“.

Die Ralf-Dieter ist ein knapp 50 Jahre altes Frachtschiff von 105 m Länge und 10,5 m Breite, das aktuell Drahtrollen geladen hatte. Ein solches Schiff fährt nicht wie viele meinen mit Schweröl, sondern mit reinstem Diesel (annähernd schwefelfrei, soviel zum Thema Umweltbilanz) und hat einen 1600 PS starken Caterpillar Motor. Es entlastet die Straße in diesem Fall um 65 LKW und könnte sogar um bis zu 99 LKW entlasten je nach Ladung. Die maximale Tonnage beträgt 2.473 t und der maximale Tiefgang 3,16 m. Die Ralf-Dieter ist ein reiner Familienbetrieb und täglich ca. 14 Stunden unterwegs.

Bitte Abstand halten: Von solchen Gefahrensituationen halten sich Ruderboote am besten fern. Foto: P. Sassin

Wir wollten als erstes wissen, welchen „Bremsweg“ ein solches Schiff hat. Bis die Maschine vollständig stoppt vergehen ca. 200 m, wobei die Strömung in der Talfahrt einen vollständigen Stopp verhindert. Diese 200 m sind auch das absolute Minimum an Abstand, den wir von einem solchen Schiff halten sollten. Zur besseren Orientierung, der Abstand von Tonne zu Tonne beläuft sich in der Regel auf 400 m, so dass der Mindestabstand also etwa dem halben Tonnenabstand entsprechen sollte. Der tote Winkel eines solchen Schiffes beträgt ca. 150 m, auf dem Kanal können es sogar bis zu 1.000 m sein, da das Führerhaus wegen der Brücken komplett heruntergefahren werden muss. Aber der Abstand ist nicht zwingend ein Garant dafür, dass wir auch tatsächlich gesehen werden. Auf dem Radar sind wir so gut wie nicht zu erkennen und könnten genauso gut Treibgut oder ein Fehlecho sein. Bei tiefstehender Sonne ist die Reflektion so stark, dass man uns oft gar nicht sieht und bei dem herrlichen Wetter an diesem Sonntag, Nebel und Sprühregen, werden wir – wenn überhaupt – erst verdammt spät gesehen. Daher auch die Bitte „Macht Euch bemerkbar, ich will Euch einfach nur sehen“. Neonfarbene Sportkleidung, Reflektoren, Warnwesten (aus dem Straßenverkehr), Positionsleuchten, Radarschirmchen wären da geeignet. Leider waren lediglich drei Ruderboote an diesem Tag unterwegs, alle Mannschaften dunkel gekleidet. Auf dem Radar war ab und an ein Signal zu sehen, aber so schnell wie es da war, war es auch wieder weg. Selbst der Sichtkontakt war mehr als dürftig. Seine Aussage ist daher absolut nachvollziehbar und kann für uns lebenswichtig sein.

Auf welcher Fahrrinnenseite der „Autobahn“ Rhein ein Schiff zu fahren hat, wollten wir als nächstes wissen. Dass man sich nicht zwingend darauf verlassen kann, dass ein Bergfahrer immer die Innenkurve wählt (geringere Strömung) und ein Talfahrer die Strommitte mit Tendenz zur Außenkurve (Stromstrich) liegt oft am Wasserstand. Es wird nicht zwangsläufig in der Fahrrinne gefahren. Je höher der Pegel, desto weiter kann unter Land und damit auch außerhalb der Fahrrinne  gefahren werden. Ist der Pegel niedrig, trifft man die Schiffe meist in der Fahrrinnenmitte an.

Üblicher Weise begegnen sich die Schiffe immer Backbord an Backbord, wobei der Talfahrer an der rechten Seite der Fahrrinne zu fahren hat. Ein regelrechtes Rechtsfahrgebot gilt z. B. auf der Gebirgsstrecke (Rheinkilometer 540,2 bis 556 ) und ab Duisburg bis zur holländischen Grenze. Hier darf die imaginäre Mittellinie nicht überschritten werden. Der Bergfahrer kann auf allen anderen Stecken die Form der Begegnung bestimmen und somit auch Steuerbord an Steuerbord vorbeifahren. Ob dies der Fall ist, erkennt man daran, ob die blaue Tafel (tagsüber) bzw. das Funkellicht (nachts) auf Steuerbord gesetzt ist oder nicht. Ist die blaue Tafel gesetzt, bedeutet dies, eine Begegnung auf Steuerbord. Dies ist für den Schiffsführer bereits früh durch eine entsprechende Markierung auf dem Radar zu sehen.

Für den Schiffsführer ist es immens wichtig, dass unser Kurs früh und eindeutig erkennbar ist (Stichwort Kurshaltepflicht). Daher sollten wir umgekehrt aber auch deren Signale entsprechend deuten können.

Betrachtet man sich einen Fluss wie den Rhein, geht man zunächst einmal davon aus, dass sich die Strömung immer talwärts verhält, also bergab läuft. Dies ist aber nicht überall der Fall. Auf der Gebirgsstrecke Höhe Unkel (Hinkelsteine) und hinter Köln zum Beispiel läuft die Strömung bergwärts. Hier ist besondere Vorsicht geboten und die Strömung entsprechend einzuschätzen.

Wenn nichts Außergewöhnliches zu erkennen ist, wird üblicher Weise mit einer Fahrunterstützung gefahren. Hier wird dem Schiff ein quasi idealer Kurs vorgeben, auch „fahren mit Null“ genannt. Wenn ein Bergfahrer aber z.  B. die Steuerbordbegegnung fordert, wird die Null verlassen, das bedeutet mittels Joystick wird der Kurs entsprechend angepasst. Nach der Erpler Lay hat Ralf für uns bewusst die Fahrunterstützung ausgestellt, um uns zu zeigen, wie träge ein solches Schiff reagiert. Er hat den Kurs beibehalten und fuhr daher genau auf die Unkler Steine zu. Erst im letzten Moment hat er den Kurs korrigiert. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis wir wieder „die Null“ erreicht hatten. Damit wurde erneut eindrucksvoll bewiesen, wie wichtig es ist, seinen Kurs früh zu wählen und vor allem beizubehalten.

Kurz darauf die nächste Herausforderung. Berg- und Talfahrer beide am Rand bzw. außerhalb der Fahrrinne. Wir Ruderer sollen ja auch nach Möglichkeit außerhalb der Fahrrinne fahren. Nur war da ja bereits „besetzt“ bzw. der Wellenschlag für ein Ruderboot entsprechend unangenehm oder durch Steine/Kribben „verbaut“. Jetzt konnten wir den Spieß umdrehen und unsererseits die Frage stellen „Wo sollen wir denn jetzt hin“? Man mag es kaum glauben, aber die Antwort war „Am besten mittendurch. Hier ist es für euch am ungefährlichsten in der Fahrrinne zwischen den Schiffen“. So langsam kamen wir auf die Ebene „Ihr Ruderer“ und wir waren uns alle einig, dass es sowohl für den Schiffsführer wichtig ist, mal den Blickwinkel „Ruderboot“ zu haben, als auch für uns Ruderer die Sichtweise des Schiffsführers zu verstehen. Unserem erklärten Ziel für gegenseitiges Verständnis zu werben und gegenseitige Rücksichtnahme zu erbitten, waren wir damit ein riesen Stück näher gekommen. Corinna Schneider (GTRV Neuwied)

 

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