Neuigkeiten

Aktuelles zum Thema Rudersport.

Entwicklung der Rudertechnik - Der Einfluss der „Berufsruderer“

England gilt als das Mutterland des heutigen Rudersports. Bereits im 19. Jahrhundert entwickelte sich der Ruderstil weiter. Die bedeutendsten Impulse vom orthodoxen zum natürlichen Rudern kamen jedoch nicht von gebürtigen Engländern, sondern von Ruderern außerhalb des Vereinigten Königreiches.

Rudern ist heute ganz wesentlich ein Mannschaftssport. Im Gegensatz dazu verdanken wir die wichtigsten technischen Fortschritte im Rudern jedoch den Erkenntnissen der Skuller im Skiff (Einer). Dies gilt vor allem für Skuller aus England und Nordamerika, die nach ihrer Zeit als erfolgreiche Amateurruderer um Geldpreise ruderten und daher dann als Berufsruderer bezeichnet wurden. Einige von ihnen gaben ihre Erfahrungen nach ihrer aktiven Karriere auch als Berufstrainer weiter.

Bislang galt der Australier Steve Fairbairn als der große Reformer für den Übergang vom orthodoxen zum natürlichen Rudern. Doch es gab bereits den Ausnahme-Ruderer  Edward „Ned“ Hanlan aus Kanada, der zumindest in seiner Heimat, in den USA, und in England kein Unbekannter war, sondern ein außergewöhnliches Naturtalent, das schon in seiner Zeit zu effektivster Bootsbeherrschung gelangte, die nichts mehr mit dem orthodoxen Ruderstil gemein hatte. Die erfolgreiche Weiterentwicklung der Ruder- und Bootstechnik seit etwa 1870 lässt sich interessanterweise anhand von Ruderern verdeutlichen, die gerade nicht aus dem Mutterland des Ruderns, also England, stammten.

Edward „Ned“ Hanlan – Pionier moderner Rudertechnik

Edward Hanlan (1855 bis 1908) wurde in Toronto als Sohn eines irischstämmigen, angesehenen Fischers und Hoteliers geboren. Er wuchs im westlichen Teil von Toronto Island auf, einem Gebiet, das bereits von seinen Eltern „Hanlan‘s Point“ genannt wurde. Schon als kleines Kind bewunderte er die Fährleute beim Rudern auf dem Ontariosee. Früh morgens ruderte er täglich kilometerweit quer über die Hafenbucht, auch zur Schule und zum Markt, um den frisch gefangenen Fisch zu verkaufen, bevor die Mitbewerber eintrafen. Er nahm erfolgreich an den praktisch vor seiner Haustür regelmäßig stattfindenden Ruderregatten teil.

Hanlan war ein begnadetes Naturtalent. Instinktiv entwickelte er eine enorm effiziente Rudertechnik, wobei letztlich seine größte Stärke, die Beinkraft, voll zum Einsatz kam. Die Arme beugte er erst, wenn er mit dem Oberkörper die Senkrechte er-reicht hatte. Er war der erste, der den „Sliding Seat“ (Gleitsitz) effektiv beherrschte und er wurde daher als Gestalter der modernen Rudertechnik bekannt. Alle anderen Ruderer praktizierten noch die vom Festsitzrudern übernommene orthodoxe Technik, hauptsächlich aus den Armen heraus zu rudern –  mit überlangem Schwung des Oberkörpers und bei steif durchgedrücktem Kreuz. Hanlan war 1,78 m groß und wog etwa 70 kg. Trotzdem war er seinen körperlich stärkeren Gegnern deutlich überlegen, obgleich er mit höchstens 36 Schlägen pro Minute ausgekommen sein soll, gegenüber den 42 Schlägen seiner Gegner. Er galt als bester Ruderer seiner Zeit:

1874/1875 wurde er Berufsruderer, zwei Jahre später siegte er auf der Weltausstellung in Philadelphia, 1877 wurde er Kanadischer Meister im Einer, ein Jahr später USA-Meister, 1879 auch noch englischer Meister.  Von 1880 bis 1884 gelang es ihm, fünfmal in Folge Einer-Weltmeister zu werden. 1897 wurde Hanlan der erste Cheftrainer des Ruderclubs der Universität von Toronto. Drei Jahre später verließ er Toronto, um für einige Jahre die Ruderer der Columbia Universität in New York zu coachen. Er trainierte die Skuller und die gesteuerten Riemenboote. Nach seiner Ruderkarriere wurde Hanlan Hotelier wie sein Vater und schließlich engagierte er sich als Stadtrat von Toronto in der Kommunalpolitik. Mit nur 52 Jahren starb Edward Hanlan 1908 an einer Lungenentzündung. 10.000 Bürger der Stadt Toronto drängten sich, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Foto: Ein orthodox rudernder Achter der RG Hansa im Jahr 1925 mit nach heutiger Kenntnis übertriebener Auslage und Rücklage. Archiv RG Hansa

Steve Fairbairn – Erfinder des natürlichen Ruderns

Steve Fairbairn (1862 bis1938) wurde in Melbourne/Australien geboren. Er ist der für uns bekannteste Erneuerer der Rudertechnik. Außerdem ist er auch der Initiator der Langstrecken-Ruderregatta für Achter in London. („Head of the River Race“). Fairbairn war ein früher Befürworter vom Gleitsitz, um seinen Mannschaften einen möglichst langen Beinantrieb zu ermöglichen. Er hatte erkannt, dass das Geheimnis der immensen Erfolge des Weltmeisters Ned Hanlan darin bestand, dass er seine Beine während des Schlages mit größter Wirkung einsetzte.

Es war Fairbairns Verdienst, dass die Erkenntnisse vom Rudern im Skiff gleichermaßen auch für den Mannschaftssport im Riemenboot galten. Dafür wurden die Gleitbahnen (später Rollbahnen) verlängert und die Kastendollen durch Drehdollen ersetzt. Seine Mannschaften saßen jetzt in einer Linie über dem Kiel und nicht mehr auf seitlich versetzten Positionen. Darüber hinaus beeinflusste er den Bau von schmaleren Mannschaftsbooten mit den dafür erforderlichen Auslegern, die ja für den Einer schon länger existierten. Seine Beobachtungen führten dazu, einen damals revolutionären Ruderstil zu entwickeln, mit dem optimalen Zusammenwirken von Beinen, Rücken und Armen beim bzw. nach dem Wasserfassen.

Er empfahl auch, dass sich die Ruderer nicht übermäßig darauf konzentrieren sollten, den Körper nach strengen Regeln zu positionieren, sondern sich stattdessen auf die Bewegung des Ruderblatts zu konzentrieren, um eine leichte, fließende Bewegung zu erfühlen.

Es war seine Philosophie, dass Rudern, wenn es gut ausgeführt wird, eine überaus erfreuliche Erfahrung sein sollte. Seine bekannte Devise „Meilen machen Meister“ gilt heute noch mehr denn je! Der orthodoxe Ruderstil war bis in die 1930er Jahre weit verbreitet. Im Jahr 1933 machte Fairbairns Pembroke-Vierer durch seine Überlegenheit auf deutschen Regattabahnen als erster auf die „Fehlentwicklung“ der Rudertechnik bei uns aufmerksam.

Foto: Charles Courtney: Mit 12 Jahren baute er sein erstes Boot, später entwickelte der Tischler den ersten Gleitsitz mit Rädern.

Charles Courtney –  Champion, Erfinder und Erfolgstrainer

Charles Courtney (1849 bis 1920), der amerikanische Rivale von Ned Hanlan, lernte sehr früh mit Booten umzugehen, denn mit zwölf Jahren baute er sein erstes eigenes Boot. Mit Anfang Zwanzig fand sein Rudern schon starke Beachtung. Bis 1873 hatte er eine bemerkenswerte Amateurkarriere hingelegt. Bemüht, seine Zeit zwischen dem Beruf als Schreiner, dem Rudern und seinen Pflichten als Ehemann sinnvoll aufzuteilen, hatte er, als Amateur unbesiegt, Rekorde im Einer, Doppel-Zweier und Vierer gesammelt. Der Höhepunkt war die Internationale Amateur-Meisterschaft auf der Weltausstellung in Philadelphia im Juli 1876 mit überlegenen Siegen im Einer und Doppelzweier.

Courtneys Amateurkarriere war jedoch nicht frei von einigen Kontroversen. Einmal war er während eines Rennens gekentert und reklamierte, dass sein Skull an einem Draht unter Wasser hängen geblieben sei. Nur konnte man bei einer Überprüfung keinen Draht finden. Bei einem anderen Zwischenfall in Philadel-
phia wurde Courtneys empfindliches Papierlaminat-Skiff bei einem Unfall auf dem Wasser zerstört, was, wie Einige behaupteten, absichtlich passiert war.

Trotz der negativen Vorkommnisse in seiner aktiven Laufbahn machte er eine erstaunliche und unerwartete Entwicklung als Berufstrainer. 1883 startete er seine Trainerkarriere und wurde einer der besten und erfolgreichsten Rudertrainer der USA. Seine somit zweite Karriere begann Charles Courtney bei der Cornell Universität, der er mehr als drei Jahrzehnte bis 1916 die Treue hielt. Seine Crews gewannen 14 von 24 Universitäts-Achter-Rudertiteln – ein nie wieder erreichter Rekord.

Seit seinen frühesten Rudertagen hatte er viele technische Innovationen erlebt und einiges hat er mit seinen Erfahrungen weiterentwickelt. Dabei kamen ihm seine handwerklichen Fähigkeiten als Tischler zugute. Es wird berichtet, dass er der erste war, der den Gleitsitz mit Rädern und Achsen versah – also somit Erfinder des Rollsitzes war. (In Deutschland wird Dr. Erich Schiller aus Berlin meist als Rollsitzerfinder 1884 genannt).

Um das Indoor-Training effektiver zu gestalten, ließ er in den späten 1890ern von einem Ingenieursstudenten, der bei ihm aktiv gerudert hatte, ein Rudergerät entwickeln – einem Vorgänger unserer heutigen Ruderergometer. Mit dem Gerät konnte die Leistungskraft der einzelnen Ruderer durch einen Stift auf einem Blatt Papier aufgezeichnet und in einer Kurve dargestellt werden. So war er in der Lage, durch Auswertung der Art, wie der Einzelne seine Kraft einsetzte, die wirkungsvollste Rudertechnik für die maximale Bootsgeschwindigkeit zu entwickeln. Danach erkannte er, dass die Beinarbeit gleichzeitig mit dem Einsatz des Ruderblattes in das Wasser erfolgen musste. Diese Erkenntnis stand im krassen Gegensatz zu dem englischen orthodoxen Ruderstil und ähnelte mehr dem natürlichen Ruderstil von Steve Fairbairn.

Courtney benutzte auch Fotoaufnahmen, um die Ruderer auf ihre technischen Fehler aufmerksam zu machen. Eine andere Erfolgsmethode war sein wechselweiser Austausch eines Rudererpaares in zwei nebeneinander wetteifernden Achtern im Training. Dafür ließ er zwei Achter nebeneinander eine Messstrecke in einer Renn-Simulation rudern und wertete aus, mit welchem Paar der Achter eine schnellere Geschwindigkeit erreichte. Diese auch noch heute angewendete Methode wurde als „Seat Racing“ bezeichnet. In Deutschland ist das der Wettbewerb um die Plätze in den Mannschaftsbooten. Zum Glück für die Ruderei und Charles Courtney war seine Karriere als „Coach“ von beispiellosen Erfolgen geprägt, etwas, was ihm als Berufsruderer nicht gelang. Ihm half dabei, dass fast gleichzeitig mit der Zunahme des „College-Ruderns“ in den USA das öffentliche Interesse am Berufsrudern nachließ und er letzten Endes von dieser Entwicklung profitierte.    

Uwe Grevemeyer (RG HANSA, Hamburg)

Quelle: Als wichtige Quelle diente die umfangreiche Abhandlung von Stewart Stokes aus dem Jahr 2000, über die soziale und technische Entwicklung des Ruderns in England und in den Vereinigten Staaten von Amerika: „It was a fearful stroke. But they made their boat hum“.

 

"Ruderhelden. Historie. Leidenschaft." 84 Seiten voller Rudergeschichte und Rudergeschichten.
Bestellung und weitere Infos hier.