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"Wenn die Trainer funktionieren, funktionieren auch die Sportler!"

Brigitte Bielig ist nun Cheftrainerin im Deutschen Ruderverband. Über ihre ersten Eindrücke und ihre Ziele, aber auch über die vergangenen und künftigen Strukturen im Leistungssport sprach sie mit rudersport-Reporter Michael Hein.

Frau Bielig, nun sind die ersten Tage im Amt der Bundestrainerin vorbei – wie ist es Ihnen bisher ergangen in der neuen Umgebung?

Erst einmal musste ich ein bisschen in die Arbeit dort hineinschauen. Im U23-Bereich mit meinem gefestigten Trainerteam war ich natürlich gut aufgestellt. Das war eine Zusammenarbeit, die wir über Jahre gepflegt haben und ich denke, da waren wir dem A-Bereich vielleicht ein bisschen voraus …

 

Das heißt also, dass alles im A-Bereich ein bisschen mehr zerfasert ist?

Naja, von außen hatte ich den Eindruck, dass im Olympia- oder in den vorhergehenden Jahren jeder Bereich ein bisschen auf seiner Insel war. Was vielleicht andere noch mehr wahrgenommen haben, war eben, dass von einer Zusammenarbeit nicht viel übrig geblieben ist, was solch ein Trainerteam ja eigentlich auszeichnen sollte.

 

Ihr Vorgänger Christian Felkel war ja auch auf diesem Weg. Er wollte – so sagte er im Interview in unserem Heft – sogar die Stützpunkte komplett zusammenlegen. Wie sieht es nun aus? Felkel sagt, es muss sein, Petri sagt, es geht nicht, und jetzt kommt Brigitte Bielig…

Ich habe mit Christian Felkel eng zusammengearbeitet, er hat in seiner Zeit ab März stark in den U23-Bereich geschaut und hat sich sehr motivierend einbringen können. Klar, wir hatten schon viele Diskussionen, auch was Zentralisierung oder Konzentration, wie auch immer man das nennen will, angeht. Er kommt aus einem ganz anderen System aus England, wo – wie er das immer so göttlich sagt –  einfach eine Tür aufgeht. Da kommen dann die Sportler rein, dann geht die Tür zu und draußen warten immer noch welche. Bei uns ist das anders gewachsen, weil wir ganz andere Vereins- und Verbandsstrukturen haben als in England. Christian Felkel war mehr auf den Spitzenbereich fokussiert, vom englischen Nachwuchsbereich wusste er nicht viel.

Für den Spitzenbereich läuft das gesamte Geld für den Leistungssport  dann auch direkt in diese eine Schiene, das ist sicherlich bei uns mit den BMI-Geldern ähnlich. Wir haben mit den Vereinen und den Landesstützpunkten gute Partner, die regional über die Länder Geld rekrutieren können und den Nachwuchs entsprechend fördern, was aus meiner Sicht ein wichtiger Faktor ist. Die Kapazitäten im Erwachsenenbereich haben da natürlich schon ein paar Grenzen und ich halte es für gut, dass wir so eine Verteilung der Stützpunkte und der Leitstützpunkte haben. In Dortmund, in Hamburg, und ich sehe es auch als gut und richtig an, dass Berlin jetzt die „Heimstatt“ der Frauen insgesamt wird. Ziel ist es, die Frauen mehr zueinanderzubringen, weil gerade der Wechsel von Skull zum Riemen oder umgekehrt davon profitiert. Gerade in Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Trainer Marcin Wittkowski ist das sicher gut für die Riemen-Damen, die zwischendurch Aufwind hatten, was aber nicht von Bestand war. Sicherlich ist aber kein Stützpunkt so gut, dass man sagen kann, dort ist alles nur Friede, Freude, Eierkuchen. Reserven haben alle, das sehe ich genauso wie viele andere auch.

 

Wobei auch bei den Männern gewechselt wird. Schlagmann Hannes Ocik zum Beispiel hat sich aus dem Achter verabschiedet und trainiert jetzt mit Oliver Zeidler in München. Wie geht der DRV, wie gehen Sie jetzt damit um, dass die „Solo-Künstler“ jetzt dort zusammen trainieren?

Also für mich ist das eine interessante Geschichte, gerade weil Olli Zeidler eigentlich Einzelkämpfer war und sehr abgeschirmt von allen dort gearbeitet hat. Hannes Ocik, der aus dem Mannschaftsboot kommt, weiß aber, dass eben auch das Großboot oder das Team dahinter eine riesige Rolle spielt.

Wenn er jetzt sagt: „Ich habe jetzt meinen persönlichen Lebensmittelpunkt nach München verlegt und probiere mich jetzt einfach mal im Skullen“, kann ich mir zunächst positive Effekte daraus vorstellen. Deswegen habe ich Hannes dabei unterstützt und gesagt: „Bitte dann mach es, versuche es!“ Er muss sich jetzt aber in der Praxis bewähren.

 

Und wie kommen die anderen Trainer damit klar, dass es jetzt quasi den Disziplintrainer Riemen, den Disziplintrainer Skull bei den Männern und den Frauen und dann auch noch den Männer-Einer-Trainer gibt? Das ist ja im System eigentlich nicht vorgesehen.

Es hat sich über die Jahre schon so ein bisschen zusammengeruckelt. Heino Zeidler war schon immer präsent und mit inbegriffen, sofern er an zentralen Maßnahmen teilgenommen hatte.

Ich denke, es ist legitim, dass man auch einem begabten Einer-Ruderer, dem ja alle großes Talent zusprechen, Zugeständnisse machen muss. Technisch muss er aber noch dazulernen; da sehe ich, dass ihm vielleicht wirklich auch die Mannschaftskameraden fehlen, die Erfahrung im Mittel- oder Großboot haben. Er wird jetzt auch in die Trainingslager mitfahren, jedenfalls zunächst in das zentrale zweite Lager im März nach Lago Azul.

 

Das Trainerkarussell hat sich nun wieder munter gedreht – genau so, wie es Christian Felkel kritisiert hat: Die Trainer werden immer horizontal versetzt. So wechseln Sabine Tschäge und Marcus Schwarzrock einfach auch wieder in neue Bereiche. Ist das der richtige Weg?

Ich bin eigentlich immer eine Vertreterin des Standpunkts gewesen, dass man jedem seine Chance geben soll. Aber man soll dann auch gucken, wo vielleicht ein Trainer besser aufgestellt ist.

Bei uns haben viele Trainer zu sehr den Anspruch, nur im A-Bereich arbeiten zu können – ich sage, das widerspricht eigentlich der Theorie, dass die besten Trainer eigentlich im Nachwuchs-Bereich arbeiten sollten. Deswegen war es für mich persönlich auch nie ein „Weiterreichen“ aus dem A-Bereich zu den Junioren und dann wieder in die U23. Ich habe einfach die Notwendigkeit gesehen, und natürlich macht mir das auch Spaß. Man kann ja in Deutschland auch nicht so einfach langjährige Trainer entlassen. Wenn ich das Trainerteam im A-Bereich jetzt sehe, sind wir etwas zersplittert, ja, und das ist natürlich meine und unsere wichtigste Aufgabe: dass wir dieses Team auch wieder zusammenbekommen. Es sind erfolgreiche, erfahrene Trainer dabei – und jüngere. Wir sind durch die Bund-Länder-Vereinbarung durch die OSP-Trainer aufgestockt worden, was ich begrüße, damit da Jüngere auch nachwachsen können und frühzeitig an die entsprechenden Aufgaben herangeführt werden.

 

War Führung in den letzten Jahren ein Problem des DRV? Marcus Schwarzrock hat im Männer-Skull-Bereich alle Boote nach Tokio gebracht…

… und der Erfolg blieb dort aus. Ich halte aber Marcus Schwarzrock nach wie vor für einen sehr guten Trainer. Ich vermute, der ausbleibende Erfolg hatte auch mit den letzten Jahren in der Ausrichtung insgesamt oder auch mit der fachlichen Führung zu tun. Ich würde nicht Mario Woldt, der jetzt immer in der Kritik stand, mit dazunehmen. Seine Bemühungen, das zu erfüllen, was die Trainer wollten, waren groß. Aber es fehlte ein bisschen die führende Hand – auch von Ralf Holtmeyer, ohne seine Arbeit jetzt zu sehr schlecht zu reden. Er ist für mich eine schillernde Trainerpersönlichkeit mit großen Erfolgen, bloß in der übergreifenden Führung des Trainerteams, da fehlte etwas.

 

Hat er als alter Achter-Coach dann ein bisschen zu viel auf den Stützpunkt Dortmund geguckt?

Ja, nicht nur, aber es gab keine konsequente Führung bis zur Lösung der Probleme. Es blieb einfach so punktuell: Mal erscheinen, mal reinreden und dann wieder weggehen, ja, und dann war er natürlich immer wieder in Dortmund, das wurde immer wieder so ein bisschen nach vorne gestellt.

 

Also „Management bei Helikopter“: Ankommen, Luft aufwirbeln und wieder wegfliegen?

Ja, so ähnlich. Der Trainerrat sollte ja eigentlich das Sprachrohr für die Arbeit des Cheftrainers sein. Das war aber nur noch eine reine Organisationsveranstaltung. Es fehlte viel an Inhalt, auch die Diskussionen in unserer trainingsmethodischen Ausrichtung für die nächsten Jahre. Das Motivieren der Trainer, miteinander zu arbeiten, und das Zusammenhalten der Trainer sind aber wichtig. Wenn die Trainer funktionieren, funktionieren auch die Sportler, weil dann wirklich mit einer einheitlichen Sprache gesprochen wird. Wir können, was wir uns als Leitbild oder als Ziele setzen, dann viel besser umsetzen.

 

Wo muss es in diesem Bereich für Sie als Cheftrainerin hingehen?

Wir müssen uns wieder eine Kultur der Zusammenarbeit erarbeiten: Leitbilder entwickeln, Leitziele setzen. Jeder Trainer sollte wissen, was er oder sie zu tun oder zu lassen hat. Trainer sollen zwar kreativ arbeiten können, aber man muss bestimmte Dinge beachten wie zum Beispiel die Protokollierung des Trainingsprozesses. Die Potenzialanalyse PotAs hat uns gezeigt, was falsch gelaufen ist. Da wird uns der Spiegel vorgehalten und wir sehen, was all die Jahre wirklich versäumt worden ist: Die akribische Büroarbeit, was einfach dazu gehört. Wir jammern über Jahrzehnte, dass wir keine Protokollierung haben; jetzt müssen wir es aber umsetzen. Da wird kein Sportler und auch kein Trainer ausgenommen. Da müssen wir ran, das sind Hausaufgaben, die wir machen müssen.

 

Wenn wir nun im auf drei Jahre verkürzten Olympia-Zyklus unterwegs sind, müssen sich doch alle erst recht auf diesen Event konzentrieren. Das heißt: Erfolgsaussichten maximieren. „Teilzeit-Athleten“ kann es doch nicht mehr geben.

Das unterstreiche ich voll und ganz. Olympiasieger wirst du nicht mehr nebenbei. Ich glaube, da machen sich einige Sportler auch etwas vor. Die Förderung unserer Spitzenathleten durch Sporthilfe, Bundeswehr und Bundespolizei ist mittlerweile so gut, dass man auch in sportlicher Hinsicht als Trainer Prioritäten abfordern kann. Es wird im Moment aber nicht unser Ziel sein,  dass wir mit vielen Bootsklassen dabei sind, sondern es muss um konkrete Medaillenchancen gehen. Da werden wir in diesem Jahr vielleicht einen Neuanfang starten müssen, darüber sind wir uns im Klaren. Ich halte es auch nicht unbedingt für richtig, künftig  bei Junioren und U23 Nationalmannschaften in vollumfänglicher Stärke zur WM und EM zu schicken. Wir müssen dort die kleinen Boote auch weiterentwickeln; dass wir die individuelle Leistung stärken und mehr fördern, um daraus im A-Bereich mehr zu erreichen.

Wir haben viele U23-Leute mit dabei, die sicherlich recht leistungsfähig sind, aber noch ihren Entwicklungszeitraum brauchen. Ich hoffe, dass natürlich viele davon im A- Bereich ankommen und eventuell auch die Ruderer und Ruderinnen, die ein Pausenjahr machen wollten, wieder zurückfinden. Ab 17. Oktober 2022 beginnt wieder die Konzentration der Bundeskader an den Leitstützpunkten. Bis dahin müssen sich alle Sportler, die Richtung Olympia 2024 in Paris gehen wollen, darüber klar sein, dass das nur ein gemeinsamer Weg an den jeweiligen Disziplingruppen sein kann – auch mit der zeitweisen Verlegung ihres Lebensmittelpunktes dorthin, um eine optimale Vorbereitung garantieren zu können. Übrigens, das wäre auch eine Forderung von Christian Felkel gewesen!

Das Gespräch führte Michael Hein

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