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Aktuelles zum Thema Rudersport.

Einer-Fahren mit 80?

Diese Frage stellte ein 83-jähriger rudersport-Leser der Redaktion und lieferte die Antwort gleich mit: Ein „Nein“ komme für ihn nicht in Frage. Was also kommt in Frage? Andreas Bartsch ist Notarzt und hat Rennerfahrung im Mastersbereich. Im Gespräch mit rudersport gibt er Tipps zum richtigen Verhalten und zeigt auch die Grenzen auf, was geht und was nicht.

Herr Bartsch, gibt es eine Faustformel pro und contra Einerrudern im Alter?

Zunächst einmal gilt: Es gibt keine Alterszahl, über oder unter der andere Regeln oder Empfehlungen gelten. Das Alter ist ein dynamischer Vorgang, der sich bei dem einen schneller, beim anderen langsamer vollzieht. Der eine fährt Rennen im Ruderboot, der andere hat schon das Fahrradfahren aufgegeben. Unstrittig ist aber auch, dass selbst der fitteste 80-Jährige sich mit zunehmenden Einschränkungen beschäftigen muss. Die Zahl 80 ist hier nur stellvertretend für „höheres oder hohes Alter“, es ist kein numerischer Wert. Ein 80-Jähriger kann fit wie 70 sein, ein 60-Jähriger kann gesundheitliche Einschränkungen haben, die dem 80-Jährigen noch fremd sind.

Also: Alle Zahlen sind relativ.

Jeder merkt doch, dass mit dem Altern sich etwas verändert. Mal ist es frühere Müdigkeit im Tagesablauf wie im Training, mal sind es Momente von Schwindel oder Unwohlsein, mal rast das Herz, obwohl die Belastung gar nicht so groß erschien. Hier ist natürlich der Kardiologe gefragt, ob es handfeste und behandlungsbedürftige Gründe gibt oder ob es sich nur um altersentsprechende Erscheinungen handelt

Sollten ältere Sportler, vor allem, wenn sie sich noch auf Regatten messen, im regelmäßigen Kontakt zum Hausarzt oder Facharzt stehen?

Unbedingt. Und zwar mit einem Arzt, der sich mit Kardiologie und Leistungssport beschäftigt. Für einen trainierten Sportler ist ein Belastungs-EKG bis zur üblichen Patientendosis von 220 minus Lebensalter wenig aussagekräftig. Wenn der Ausdauersportler 150 Watt erreicht, fängt er gerade an zu schwitzen und der Arzt bricht bereits mit Glückwünschen die EKG-Untersuchung ab. Für Wettkampfsportler sollte mit dem Arzt ein EKG mit Ausbelastung vereinbart werden und bis zur Erschöpfung von Kreislauf oder Muskulatur durchgezogen werden – so wie es kurz vor der Ziellinie aussieht. Natürlich nur, wenn die EKG- oder Blutdruckwerte nicht aus dem Ruder laufen. Ein kurzzeitig hoher Blutdruck deutlich über 200 mmHg ist normal, ob er für alte Blutgefäße gut ist, ist eine andere Sache.

Gibt es Alarmzeichen?

Wenn im Alltag Herzrhythmusstörungen, Blutdruckkrisen, plötzliche Schmerzen im Brustkorb, Luftnot aus nichtigem Anlass ohne Belastung auftreten – dann spätestens ist der Arzt gefragt! Und wenn solche Befunde wiederkehren (auch wenn sie nicht zu einer Behandlung geführt haben), dann sollte man sich die Frage stellen, ob Alleine-Rudern und Wettkampfsport sinnvoll sind.

Wie steht es um Kraft und Beweglichkeit?

Der Grundsatz heißt ja: „Rudern geht in jedem Alter, aber beim Ein- und Aussteigen braucht´s Ordonanz“. In Venedig sah ich eine Renngondel mit zwei Mann Besatzung an Bord am Kran über den Fußweg schweben, die Gondel wurde abgelassen und die Mannschaft legte los. Herrlich! Mit unseren Booten leider unmöglich – und wohl zu teuer.

Also wir reden schon darüber, wie ich das Boot ins Wasser bekomme?

Das Tragen und Balancieren des Bootes ist das eine. Bekomme ich allein das Boot sicher aus der Stellage auf die Böcke (oder einen Bootswagen), bekomme ich es ins Wasser und kann es dort sichern, bis die Dollen mit den Skulls geschlossen sind und ich ablegen kann? Sicher heißt hier natürlich auch: Ohne dass jedes Mal eine Beule mehr den Rumpf des Bootes ziert. Hier geht es also um Kraft, aber auch Gewichts- und Balanceprobleme. Dann das Einsteigen: Trägt ein Bein ein Großteil meines Gewichts oder knalle ich in den Rollsitz, so dass schon wieder eine Delle in der Rollbahn ist?

Oft sind die Knie der wunde Punkt…

Genau: Die Belastung beim Ein- und Aussteigen auf einem Bein ist für das Knie enorm und der Winkel in der Auslage, der wesentlich spitzer ist als beim Fahrradfahren, wird auch oft nicht mehr erreicht. Im Falle von Fußsteuer im Großboot: Machen die Knie das Verdrehen des Fußes zum Steuern mit? Anlegen und Aussteigen - jetzt wird es ganz ernst: Komme ich alleine zuverlässig aus dem Boot, ohne dass die Füße im Boot auf unerlaubte Stellen treten? Hier gibt es sicher für viele ein Problem, das es ihnen kaum noch ermöglicht, allein im Renneiner zu fahren. Wie gesagt: Rudern geht, aber man muss auch ins Boot rein und wieder raus kommen. Im Gigboot, wenn andere Crewmitglieder, die „vorgewarnt“ sind und unterstützend das Boot halten, sieht das deutlich besser aus.

Wie sieht die Intensität des Trainings im Alter aus?

Natürlich ist es ein Unterschied, ob der Ruderer 1000 m-Rennen fahren will oder Langstreckenrennen oder gar keine Rennen. Der 1000 m-Ruderer wird auch im Alter 10 bis 15 Prozent seines Trainingsumfangs „Gas geben“, die Schlagzahl erhöhen, einen Start+20 fahren. Aber bloß nicht jeden Tag und zu 50 Prozent und mehr des Trainingsumfangs! Der Ältere braucht mehr Regenerationszeit und deutlich weniger „Belastung“. Und wer gar keine Rennen fährt oder sehr wenige im Jahr, soll zu (fast) 100 Prozent im Grundlagenausdauerbereich fahren, also ohne jede Belastung („Laufen ohne Schnaufen“). Nach dem Training kraftlos auf den Steg zu purzeln, ist kein Zeichen von toller Leistung, sondern von Altersschwachsinn.

Andreas Bartsch

 

Was gehört noch in den Komplex Altersmedizin?

Wasser auf dem Wasser! Nicht ausgetrocknet und ausgehungert ins Boot steigen, also schon vorher genug trinken, ein paar Kalorien aufnehmen und auch während des Trainings oder der Ausfahrt eine Wasserflasche mitnehmen und sie auch leeren. Trotzdem wird das Vorher-Nachher-Gewicht ein Minus zeigen: Es wurde gearbeitet! Wenn der Urin nach dem Training erstens vorhanden und zweitens hellgelb ist, hat die Bewässerung gestimmt. Wenn erst zwei Stunden nach dem Training die Blase ruft und der Saft dunkelbraun ist, fehlt deutlich mehr als ein Liter in der Bilanz. Diese Hinweise gelten natürlich für alle sportlichen Aktivitäten, im Wesentlichen auch für alle Altersgruppen und vor allem auch für alle Bootsklassen, sind also nicht Einer-spezifisch.

Sollte man bei Grippesymptomen trainieren?

Schlappheit, Muskelschwäche, Fieber, höhere Herzfrequenz als üblich: Das sind Entzündungszeichen, die zum Stopp jeder Anstrengung führen müssen – das gilt für jede Altersgruppe. Die Gefahr, dass ein Infekt zur Herzmuskelentzündung führt, ist besonders groß, wenn zum grippalen Infekt eine Anstrengung kommt. Herzmuskelentzündung – auch bei jungen Menschen – heißt: extreme Schwäche und Kurzatmigkeit, Rhythmusstörungen, die auch zum Tod führen können. Da ist natürlich der Mannschaftssport eine besondere Gefahr („deinetwegen können wir nicht trainieren“ oder „am Wettkampf teilnehmen“). Jawohl, unbedingt! Und auch nach einem Infekt gilt es, langsam das Training und die Belastungsmomente zu steigern. Nach hohem Fieber (>39 °C) ist ein Anpassungsprozess über 14 Tage notwendig, nach Schlappheit und niedrigem Fieber (<38°C) wenigstens über drei Tage.

Spielt auch das Gewässer, auf dem ich trainiere, eine Rolle?

Ebenso wenig wie die reine Alterszahl ist auch das Gewässer nicht absolut zu beurteilen. Aber es ist ein Riesenunterschied, ob ich auf einem stillen See bei Windstille rudere oder ob ich auf einem Fluss ablege, wo vielleicht noch kurz unterhalb des Stegs ein Brückenpfeiler droht oder eine Tonne oder Kribbe als Hindernis auftaucht. Auch Pegelstand, Wassertemperatur, Windrichtung, Windböen und Schiffsverkehr spielen eine große Rolle. So kann und sollte der Ruderer in Ruhe entscheiden: Wie fit bin ich heute? Wie ist das Wetter jetzt und in den nächsten zwei Stunden (Wetter-App!)? Wie ist das Wasser heute? Welches Boot kommt infrage? Da kann und sollte die Antwort auch mal lauten: „Heute nicht“.

Muss es unbedingt ein Renn-Einer sein?

Bootstechnik heißt auch Sicherheitstechnik: Ein C-Skiff sieht von außen wie ein Rennskiff aus, ist kürzer, etwas schwerer und liegt sehr stabil im Wasser. Warum nicht vom Rennboot umsatteln auf das stabilere Boot?

Sicherheit im Boot heißt: Hat das Boot Auftriebskörper (geschlossene Luftkästen) wie ein Rennboot oder geht es mit Vollschlagen unter (offener C-Einer)? Sicherheit im Boot heißt: Hackenbänder und Einhandöffnung der Fußriemen – im Rennboot in der Regel obligat, manchmal aber verschlissen oder fehlend. Bei mehreren Gig-Unfällen auf dem Rhein in unserer Nähe war immer mindestens ein Ruderer (übrigens immer der Älteste – Zufall?), der mit den Füßen im umgeschlagenen Boot festhing. Das möchte man sich nicht vorstellen. Also: Einhandöffnung und Hackenbänder müssen erstens vorhanden sein und zweitens die Einhandöffnung standardmäßig vor dem Ausstieg genutzt werden, damit der Ablauf der Fußöffnung auch bei Stress unterbewusst funktioniert. Und: Wir spielen im Boot nicht Fußball. Die Sorge, dass mit einem Schuss der Ball und der Schuh gemeinsam davonfliegen haben wir nicht. Also: den Stemmbrettriemen nicht zu eng zuziehen und die Schuhe auch nicht eng schließen. Dann kann man immer noch aus dem Schuh schlüpfen, falls man im Stemmbrettriemen festhängt. Also: Füße locker im Boot, nicht knallfest!

Welche weiteren Sicherheitsaspekte sollten beachtet werden?

Die Frage nach dem Einer Ü80 darf nicht verneint werden, das haben wir schon eingangs „festgestellt“. Aber es darf gefragt werden: Muss es heute unter den aktuellen Bedingungen sein? Auch wenn der Einerfahrer Individualist ist, vielleicht sollte er sich aus Gründen der Sicherheit mit anderen verabreden: Mit anderen Einerfahrern oder sich einfach zu den allgemeinen Ruderzeiten einfinden. Andere Kameraden helfen gern beim Boottragen und beim Ein- und Aussteigen. Und wenn etwas passiert, ist ein anderes Ruderboot in der Nähe oder es fahren ohnehin zwei, drei Einer im Verband. Oder der Trainer ist sogar mit dem Motorboot in der Nähe. Der Ältere sollte sich so organisieren können, dass er sich an den Betriebszeiten des Vereins orientieren kann und nicht auslaufen, wenn weit und breit niemand ist.

Im Alter ist das Umdrehen des Kopfes deutlich eingeschränkt. Ein Rückspiegel an der Mütze oder an der Brille ist sehr hilfreich. Im ersten Moment macht einen das Ding verrückt. Aber bitte nach den ersten zwei Fahrten nicht aufgeben! Dann wird es von Mal zu Mal besser und nach 6 bis 10 Fahrten will man ohne Rückspiegel nicht mehr ins Boot steigen.

Worst Case Kentern – kommt der Ältere wieder ins Boot?

Wiedereinstieg in den Einer sollte der ältere Ruderer gar nicht erst versuchen, es sei denn, er übt es in jedem Sommer einmal und kann es wirklich. Auf dem Bauch auf den Luftkasten legen und wie auf einem Surfbrett Richtung Ufer paddeln – das ist sicher und geht schnell.

Apropos Kentern: Die Gründe können vielfältig sein, von technischem Defekt oder Fehlbedienung (z. B. Dolle nicht richtig geschlossen) bis zur Kollision mit Wasserfahrzeugen oder anderen Hindernissen. Und beim Älteren kann es auch zu einem Schwächeanfall aus innerer Ursache kommen, der sich nicht ankündigen muss. Wenn der Ruderer dann ins Wasser fällt, ist er hilflos und wird wahrscheinlich ertrinken.

Sehe ich bereits das Thema Rettungsweste?

Genau. Die Rettungsweste mit Automatik wird innerhalb weniger Sekunden auslösen und Rumpf und Kopf über Wasser gehalten. Wenn noch Atmung vorhanden ist, kann der Verunglückte atmen und bleibt am Leben und kann auf Hilfe von außen hoffen. Wenn er mit dem Kopf unter Wasser ist, kann er nicht atmen und stirbt innerhalb von Minuten. Also: Eine klare Forderung, um das Einer-„Nein“ für Ältere zu verhindern: Auch im Sommer mit Rettungsweste – zumindest immer dann, wenn keine Hilfe anderer Ruderer in unmittelbarer Nähe ist. Unmittelbar heißt unmittelbar und nicht in 500 oder 1000 m Entfernung! Und auch zur Automatik eine klare Ansage: Wer bewusstlos ist – aus innerer Ursache oder als Unfallfolge – oder in Panik ist, dem hilft nur die Automatik und deshalb ist es Unsinn über Rettungswesten mit Handauslösung auch nur nachzudenken. Im professionellen Bereich von DLRG und Feuerwehr gibt es noch andere Gedanken, die Retter sind aber nie allein im Einsatz und haben andere Schutzkleidung.

Die Regelungen zur Rettungsweste sind ja in den Vereinen sehr unterschiedlich.

In vielen Vereinen ist die Rettungsweste in der Winterzeit bei Wassertemperaturen unter 15°C vorgeschrieben oder dringlich empfohlen. In vielen Vereinen ist auch das Rennboot zur Winterzeit generell verboten (außer der Trainer begleitet die Trainings-
crew mit dem Motorboot in unmittelbarer Nähe). Weil aber die Muskellähmung bei kalten Wassertemperaturen im einstelligen Minutenbereich einsetzt, wäre hier dann doch der Punkt gekommen, dem Älteren Ruderer „Nein“ zu sagen zum Rudern im Einer – zumindest, wenn nicht andere Boote in unmittelbarer Nähe mitmachen.

Gehört das Handy mit an Bord?

Die Apps auf dem Smartphone sagen uns, wann es regnet, wann es stürmt und ob Blitze in der Nähe sind, wie die Wassertemperatur ist, wo der Wasserpegel gerade steht oder ob er schnell steigt und der Fluss deshalb jede Menge Treibgut mitbringt. Diese Werte abzufragen, gehört zur Vorbereitung einer Fahrt wie die Ausarbeitung des Flugplans für den Piloten. Das Smartphone sollte aber dann nicht im Spind bleiben, sondern in wasserdichter Hülle mitgeführt werden. Die Hüllen sind preiswert und sie lassen Hören, Sprechen und Tippen und Wischen zu, ohne dass das Gerät aus der Hülle genommen werden muss. Wenn etwas passiert ist, kann man Hilfe rufen – vielleicht nicht im Wasser schwimmend, aber nach Erreichen des rettenden Ufers.

Gilt das Thema auch für Frauen?

Es gibt keine Altersgrenze zum Einer-Rudern, auch für Frauen nicht. Wenn ich stets die männliche Form des Einer-Ruderers nenne, dann ist das nicht nur das generische Maskulin, sondern auch der Tatsache geschuldet, dass ältere Sportlerinnen zwar auch sehr fit bis ins hohe Alter sein können, meist aber sehr viel besser erkennen, welche Aktivitäten für sie nicht mehr die richtigen sind. „Je öller je döller“ ist zumeist ein männliches Phänomen.

Das gespräch führte Thomas Kosinski