Das war’s, die Ruderwettbeweerbe in Tokio sind durch. Einer und Achter fehlten noch, jetzt sind die Ruder Medaillen verteilt. 2x Silber für die deutschen Ruderer plus zwei große Favoriten, die tragisch scheiterten… Deutschland hatte einen großen und bedeutenden Anteil an der olympischen Regatta Tokyo 2020. Wir haben in 4 von 14 Rennen elementar zur der Story der Goldmedaille beigetragen. Es hätten auch vier Goldmedaillen werden können, im Nachhinein wären wohl 1 Gold, 3 Silber dem relativen Leistungsstand angemessen gewesen. Die Leistung war da, mehr kann man in der Vorbereitung nicht tun.
Packendes Finale aber keine Goldmedaille zum Abschluss in Tokio. Bild: D. Seyb
Im Finale B bestand der Beitrag zur Geschichte der Goldmedaille darin, dass Oliver Zeidler als Goldfavorit unter seltenen, spezifischen Bedingungen nicht nur nicht der Sieger war, sondern nicht einmal ins Finale gekommen war. Nach dem dramatischen Scheitern im Halbfinale war er in seinem Endlauf wieder nicht überragend, obwohl die Bedingungen diesmal dem Normalen entsprachen. Er kontrollierte irgendwann das Feld, wieder konnte er sich danach nicht lösen auf der Strecke. Hier lag wohl bei ihm mehr im Argen als nur Wind und Welle im Halbfinale.
Auf dem letzen Streckenabschnitt hat er sich diesmal früher aufgemacht und letztlich klar und deutlich gewonnen. Seine 6:44min. hätten im Finale A, kurze Zeit später, bei scheinbar gleichen Verhältnissen, für Platz 5 gereicht. Mit dem gleichen Abstand zu Sverri Nielsen (nur! Platz 4), wie im Halbfinale, und auch zum Griechen, der in 6:40 min. Olympiasieger wurde. Das sah bei Stefanos Ntouskos ganz nach einer Wiederholung seines überragenden Halbfinales aus, vielleicht sogar noch mit einer Schippe drauf. Hut ab, all hail to the new king.
Drama und Klassebeim Höhepunkt
Und dann kam es letztlich, das finale Finale, der Männer-Achter, der Deutschlandachter, die Königsbootsklasse, die schnellste Mannschaft wird gekürt. Das angesagt, beste Achter-Rennen aller Zeiten bot viel Klasse, viel Drama und Surprise. Die sportlich gesehen, positive Überraschung war, dass Neuseeland überzeugend gewann. Diesmal fuhren sie schon vom Start weg ganz vorne mit, hielten sich an die knapp führenden, GER und GBR. Dem große Zweikampf der letzen 12 Jahre. In London 2012 gewann der Deutschlandachter, 2016 GBR und Silber für GER. In Tokio war es genauso. 2017, 2018, 2019 und 2020 war der Deutschlandachter der beste, 2021 wurde GBR vor GER Europameister und gewann den entscheidenden Weltcup in Luzern. Immer war es knapp zwischen den beiden.
Bis spät in die Nacht: Mitfiebern beim RC Tegel mit Vereinskamerad Olaf Roggensack und dem Achter.. Bild: privat
In Tokio 2020, im Vorlauf, im Hoffnungslauf sah es nicht mehr danach aus. GBR war schwach, klar unterlegen, es lief nicht, viele Krisengespräche. Jedoch in einem Finale, gerade den olympischen, werden die Karten häufig neu gemischt, jedenfalls mischte GBR sofort wieder vorne mit, wie angestammt. GBR führt nach 500m, dann lange gleichauf mit GER. So gingen die drei durch die 1.000m… Seite an Seite, aber nun NZL hauchdünn vor GBR vor GER, der Aufgalopp für die zweite Streckenhälfte.
Wer greift an, wer kann sich über den Druck, über den Streckenschlag lösen? Dies ist die große Stärke des Deutschlandachters, die perfekte Technik, der perfekte Rhythmus. Man sieht es wieder schön. Der Achter schiebt sich hoch, kommt aus dem Wasser und alle acht Ruderer spannen sich perfekt ein, synchronst, greifen genau in dem Punkt, ganz vorne, wieder rein, bevor das Boot sich senken kann. Wie beim Dropkick, schießt der Achter wieder vor.
Doch die beiden Achter links und rechts vom Deutschlandachter haben ihr eigenes Spiel, spielen es meisterhaft. Großbritannien setzt einen Druckspurt, spielt seine deutlich stärkere Physik aus, zwei Schläge ruhiger als der Deutschlandachter, kontert deren Initiative mit viel Druck im Durchzug aus, bleibt vor ihm. Auf Steuerbord rudert Neuseeland ähnlich perfekt wie Deutschland, einen Schlag ruhiger aber mit noch ein bissschen mehr Vortrieb, setzt sich ganz langsam, aber unwiderstehlich, ab. Sie haben jetzt die höchste Streckengeschwindigkeit, 6,1m/sek., erst 1 Platz, dann 2 Plätze, 3 Plätze… fast eine halbe Länge vor Deutschland.
Dann, 300m vor dem Ziel, greift der deutsche Achter an, mit allem, was er hat, 2 Schläge höher als die Gegner, SF 42, 43, 44 … sie haben jetzt die höchste Bootsgeschwindigkeit, 6,6m/sek. Keiner der anderen Achter hat auf der Strecke so eine Maximalgeschwindigkeit überhaupt erreichen können. Sie kommen auf, nur noch ein Bugkasten ist Neuseeland vorne, GBR ist nun hinter ihnen im Rennen um Silber. Dann ist die Ziellinie da, vorbei. Schade, sie hatten einfach nicht mehr genug Wasser vor sich, um an NZL auch noch vorbei zu rudern. Sie gewinnen verdient Silber, knappestens im Photofinish vor den verzweifelt heran sprinteten Riesen aus GBR. Silber gewonnen, Gold nicht gewonnen.
Starkes Rennen
Neuseeland war bei der letzen Weltmeisterschaft 2019 sechster, letzter. Musste sich nach-qualifizieren dieses Jahr. Das war riskant und in Pandemie Zeiten ein besonderes Handicap. Aber sie haben es mit Bravour gemeistert. In Tokio waren sie dann im Vorlauf gegen Holland zu verhalten losgefahren, kamen aber dann unwiderstehlich auf. Im Hoffnungslauf dominierten sie dann und im Finale waren sie wunderschön und unschlagbar.
Der Deutschlandachter hat sein bestes Rennen 2021 gezeigt, hat GBR geschlagen, knapp, das war viel und alles was man tun konnte. In jedem anderen Jahr war dies eine Goldmedaille wert gewesen. Aber, … wenn zwei sich streiten…. Neuseeland war legendär. Verloren hat hier weder GER noch GBR, insbesondere nach deren verkorkster, olympischer Regatta.
Verloren haben wohl die Holländer. Sie waren die besten im Vorlauf, von vielen auf Gold getippt, mindestens Silber und wurden aber nur fünfte noch hinter dem jungen USA Achter, Vorletzte, nur noch vor den Australiern, die hier ihre besten Riemenruderer in den Zweier (Bronze) und Vierer (Gold) gesetzt hatten. Holland hatte große Umstände und Probleme mit Corona und Corona-Maßnahmen in Tokio 2020… hoffentlich war es für sie eine sportlich, somit faire Niederlage.
Achter gut, alles gut? Es überwiegt ein Gefühl des Scheiterns. Und die Stimmung ist schon lange nicht mehr gut, zu lange reden wir schon vom Niedergang, nach den triumphalen Nach-Wende Jahren. Dieses Mal scheint es nicht möglich, es in Abrede zu stellen, zu schwach ist die Medaillenausbeute. Aber Scheitern, Niederlagen sind spannend. Sie sind mehr wie ein Anfang, Siege sind meist mehr wie ein Ende einer Entwicklung. Ein Phönix steht aus der Asche auf, Meister sind mehr als einfache Sieger, weil sie Verlieren gelernt haben. Wenn wir also so viel vom Scheitern reden, dann sollten wir es uns als Metapher zu nutze machen.
Scheitern, die erlebte Niederlage, ist vor allem auch ein persönlicher Eindruck, man nimmt es selber so wahr und die Finalität dieser Erkenntnis schmerzt und das manchen Athleten ein Leben lang. Es ist ein, vielleicht sogar der entscheidende Aspekt in einer Sportler Biographie. Also wie genau sind die Ruderer in Tokio gescheitert?
Man kann scheitern, weil man verloren hat, man kann aber auch scheitern, wenn man nicht verloren hat, sogar dann, wenn man gewonnen hat. Die erlebte Niederlage ist nur lose gekoppelt mit der eher objektiven Skala der sportlichen Niederlage. Diese Skala der sportlichen Niederlage beginnt in seiner höchsten mit der Erkenntnis, dass man einfach nicht gut genug ist, weder das eigene Können noch das Talent reichen absehbar zu einer besseren Leistung aus.
Diese Stufe haben alle deutschen Ruderer klar übersprungen. Auf der nächsten, etwas milderen Stufe lautet das Urteil, man habe sein Potential nicht ausgeschöpft. Dieses Potential kann auf die Karriere, auf die Saison oder nur auf das finale Rennen bezogen sein. Letzteres ist meist mit dem Gefühl des Scheiterns verbunden.
Immerhin, die deutschen Ruderer in den B-Finals sahen ihre sportliche Niederlage alle schon lange kommen. Allein, es hätte noch eine positive Überraschung geben können, das dies nicht der Fall war, war für alle eine Enttäuschung.
Oliver Zeidler scheitert an sich selbst
Oliver Zeidler gehört zur härtesten Variation auf dieser Stufe. Der beste Einerfahren dieser Saison, amtierender Welt- und Europameister, der Gold-Favorit scheitert an sich selbst, weil er die äußeren Ausnahmebedingungen nicht annähernd so gut meistert, wie seine andernorts deutlich unterlegenen Gegner. Der potentiell schnellste, scheitert schicksalshaft an seiner einen, kleinen, unwahrscheinlichen Schwachstelle - die Kombination aus extrem wackelig und dazu vom Wind stark angeschoben.
Ein Stufe milder als Oliver ist der Frauen-Doppelvierer gescheitert. Denn es war wesentlich weniger Ihr eigenes Unvermögen, als Pech in den hochriskanten, eigentlich unruderbaren Verhältnissen in ihrem Lauf. Dieses Pech findet einen Trost in den vielen anderen Krebsen, die es in den gleichen, unruderbaren Verhältnissen gab, vor allem in der zweiten Hälfte des ersten Finaltags, und die sogar Goldmedaillen kosteten.
Neuseeland ist diesmal nicht zu schlagen
Wiederum eine Ecke weiter ordnet sich der Deutschlandachter ein. Alles richtig gemacht, das Beste gezeigt, kein Pech gehabt, aber. Aber es gab jemanden, der nicht erwartet werden konnte, der einfach nochmal besser war, heute unschlagbar war. Frustrierend, aber irgendwo akzeptabel, vor allem, weil es nicht viel war, machbar.
Wenn man nun nur ein kleines bisschen weiter geht auf der Skale der sportlichen Niederlagen, dann betritt man den Bereich, wo diese Niederlagen alternativ auch mit Fug und Recht als Triumphe beschrieben werden könnten. So erging es zum Beispiel Osborn/Rommelmann, die die „Göttern“ aus Irland aufs Äußerste herausforderten, ihnen ihr ganzes Können abverlangten und darüberhinaus auch noch deren bezauberndes Extra. Nur durch den deutschen, leichten Männer-Doppelzweier kam die ganze Schönheit des Rennens und der Gold-Favoriten ans Licht. Vielen Dank dafür und herzlichen Glückwunsch zur goldensten aller Silber-Medaillen.
Auf der grausamen Skala der Niederlagen geht es aber noch weiter, denn es gab auch schon Gold-Medaillen, Sieger, die sportlich eine Niederlage waren. Bei dieser Regatta traf das diejenigen, die durch einen Krebs oder das Kentern ihrer Gegner gewannen. So will man nicht gewinnen, wenn man weiss, der Gegner war eigentlich besser. Sportler haben für Fairness das beste Gespür, auch so einen unverdienten Sieg muss man als Sportler verdauen.
Das äußerste Ende der Skala der sportlichen Niederlage blieb den deutschen Ruderern diesmal erspart. 1988 gewann der Deutschlandachter Gold, obwohl nichts von dem umgesetzt worden war, was man sich vorgenommen hatte. Der Schlagmann Bahne Raabe musste sich erst mit diesem Scheitern arrangieren, bevor er gute Miene zur Goldmedaille machen konnte.
Scheitern ist eben eine individuelle Erfahrung. Wir als Zuschauer sind davon auch angefasst, deswegen war diese olympische Regatta besonders großartig, auch wenn die deutschen Medaillen nicht den traditionellen Umfang haben. Rudern ist Sport, Sieg und Niederlage gehören konstitutiv dazu. Von allem hatten wir reichlich, das höchste Fest des Rudersports, die olympische Regatta, sie war auch diesmal großartigst. Möge dieses Scheitern der Anfang sein, wir haben drei Jahre Zeit unsere Niederlage zu meistern.
Michael Buchheit
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