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Tokio-Tickets – letzte Ausfahrt Luzern

Jetzt gilt’s: Mitte Mai wird es im schweizerischen Luzern noch einmal spannend: Über drei Tage – vom 15. bis 17. Mai – werden dort auf dem Rotsee die letzten Startplätze für die olympischen Sommerspiele vergeben.

Der Modus dieser Qualifikation ist so einfach wie auch hart: In sämtlichen 14 olympischen Bootsklassen  - sieben bei den Männern, sieben bei den Frauen – werden noch jeweils zwei Tickets für Tokio vergeben. Das bedeutet: Im Finallauf erster oder zweiter werden, sonst ist es vorbei mit dem Traum von Olympia. Das jahrelang ersehnte Ziel, einmal bei Olympischen Spielen zu starten, wird sich auf dem malerischen Luzerner „Göttersee“ für einige wenige erfüllen, für die meisten wird der Traum von Olympia platzen. Doch das Schicksal meint es auch gut: Luzern ist für alle auch noch einmal eine zweite Chance. Denn die eigentliche Qualifikation für Tokio waren bereits die Weltmeisterschaften im September 2019 in Linz. Damals waren die Olympischen Spiele noch für 2020 geplant. Dann kamen Corona und die Verschiebung der Spiele um ein Jahr. Die Nachqualifikation in Luzern wurde damit zur Hängepartie, die nun, über 20 Monate nach der WM, entschieden wird.

Bei der WM in Linz qualifizierten sich sechs deutsche Boote in den 14 olympischen Bootsklassen: Bei den Männern der Einer, der Doppelzweier, der leichte Doppelzweier, der Doppelvierer und der Achter, bei den Frauen lediglich der Doppelvierer. Ob der Deutsche Ruderverband in sämtlichen acht Bootsklassen, in denen es noch Tickets für die Deutschen zu gewinnen gibt, antreten wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht endgültig entschieden. Denn nach den bescheidenen Resultaten von Varese sind in einigen Bootsklassen die Chancen nicht allzu groß. Das hängt natürlich davon ab, wie stark die Konkurrenz ist.  Immerhin, sie wird nicht ganz so übermächtig wie zum Beispiel bei einem Weltcup oder eben bei einer Europameisterschaft. Warum nicht? Weil die bereits qualifizierten Boote bzw. Nationen in Luzern nicht mehr um die Plätze mitfahren. Sämtliche A-Finalisten der Linzer WM und sogar die ersten Plätze des B-Finals, sind ja bereits im Tokio-Pool. Dazu sind über weitere kontinentale Ausscheidungen die olympischen Startfelder bereits bis auf die beiden letzten Plätze gefüllt. So sind zum Beispiel von den 29 Startplätzen im Einer bereits 27 vergeben, die alle in Luzern nicht starten werden.

Die Schweizer Qualifikationsregatta ist letztlich eine Regatta der „Übriggebliebenen“. Durch den überlangen Zeitraum aufgrund der Verschiebung starten nun teilweise ganz andere Athleten. Die Boote wurden neu gemischt und zusammengesetzt. Allerdings: Im Gegensatz zur Olympia-Qualifikation 2019, bei der sich nicht Athleten, sondern lediglich die Boote für das jeweilige Land qualifizierten, sind es nun die Sportler selbst, die sich qualifizieren. Diese Regelung soll verhindern, dass Ruderer aus bereits qualifizierten Booten nun in Luzern in einem Quali-Boot starten, konkret: zwei Ruderinnen des bereits qualifizierten deutschen Doppelvierers dürfen sich in Luzern nicht einfach in den Doppelzweier setzen bzw. wenn sie es täten, müssten sie in Tokio auch in diesem Boot bleiben, der Doppelvierer wäre also gesprengt. Es ist also auch eine taktische Aufgabe für Trainer und Verband, die in Luzern startenden Boote einerseits möglichst stark zu besetzen, ohne die sechs tokio-sicheren Boote andererseits zu schwächen – aber Spielraum gibt es.

Wie sehen die Chancen für die deutschen Boote aus? Einen Fingerzeig zur Positionsbestimmung haben die Europameisterschaften in Varese geliefert.

Männer, Zweier: Der Zweier als B-Final-Vierter von Varese wird es mit Großbritannien und Dänemark zu tun bekommen, die im selben Finale auf Platz 1 und 2 ruderten. Aus dem A-Finale kommen noch die Niederlande hinzu. Zwei dieser Konkurrenten muss der Zweier also hinter sich lassen. Prognose: Es wird schwer, aber es ist nicht unmöglich.

Männer, Vierer: Der Vierer verlor den Hoffnungslauf in Varese. Allein die dort anwesenden Gegner Frankreich, Ukraine und Kroatien sind sämtlich noch nicht qualifiziert und in Luzern harte Konkurrenz. Prognose: Es wird eine unglaubliche Kraftanstrengung erforderlich sein.

Frauen, Einer: Im Einer hat Alexandra Föster auf jeden Fall das Potential, in das Finale der Qualifikationsregatta zu gelangen, allerdings liegt es bei einer so jungen Athletin und einer dreitägigen Regatta letztlich an der Tagesform. Prognose: Muss sich die 19-Jährige bis zum Finale nicht zu sehr verausgaben, ist alles drin.

Frauen, Doppelzweier: Aufgrund der bereits qualifizierten elf Nationen ist die Konkurrenz nicht übermäßig. Die schwerste Herausforderung wird das Team aus Großbritannien sein. Prognose: Da der zweite Platz ausreicht, ist die Qualifikation gut möglich.

Frauen, LG-Doppelzweier: Im Doppelzweier könnte es Licht am Ende des Tunnels geben, denn aufgrund der bereits qualifizierten elf Nationen ist die schwerste Herausforderung das Team aus Großbritannien. Prognose: Da Platz 2 ausreicht, ist eine Qualifikation möglich.

Frauen, Zweier, Vierer, Achter: Der Frauen-Riemenbereich ist durch den geplanten Aufbau bis 2024 noch nicht so weit in seiner Entwicklung. Bei der EM in Poznan 2020 sorgten die Ruderinnen für erste Achtungserfolge, an eine Qualifikation für Tokio ist eher nicht zu denken. Im Achter präsentierten sich in Varese Rumänien und die Niederlande auf den ersten beiden Plätzen neun bis elf Sekunden schneller, und sind damit auch die klaren Favoriten auf dem Rotsee. Auch im Zweier und Vierer wird es aus derzeitiger Sicht eine zu große Herausforderung sein. Prognose: Keines der drei Boote wird sich qualifizieren können, es sei denn, es geschieht ein Wunder.

Apropos Wunder: Die Qualifikation in Luzern gleicht ein wenig einer Wundertüte. Denn im Kampf um die beiden vorderen Plätze können zusätzlich sogar noch etliche Boote aus Nationen außerhalb Europas eingreifen, die bislang niemand auf der Rechnung hat. Dies bedeutet, dass die Anforderungen also wachsen und die Hürden noch höher aufgelegt werden können, als sie aus europäischer Sicht ohnehin schon sind.   

Michael Hein